Ein offener Brief

… da ist es also so eisig, dass selbst die Frostsaat nicht in die Erde will (Kohlrabi und Möhren, Pastinaken und Porree, Zwiebeln und Petersilie, Schwarzwurzeln und Kopfsalat, Wirsingkohl und Frühlingszwiebeln sollen ja möglich sein) … und so beschäftigen wir uns alternativ mit den stadtpolitischen Kontexten des Gärtners.

In der besten Hoffnung auf eine klärende Antwort ein offener Brief an das Studio Andreas Heller GmbH:

vielen Dank für die Anfrage, ein Foto des Gartenprojekts „Keimzelle“ aus St. Pauli im Rahmen einer Ausstellung im neu gebauten „Wälderhaus“ zeigen zu wollen. Sie hat uns zum Nachdenken veranlasst.

Die Ausstellung dreht sich, wie Sie schreiben, rund um die Themen Wald und Nachhaltigkeit und das Foto der Keimzelle soll in einem Bereich gezeigt werden, in dem „wegweisende Projekte von innerstädtischer Umnutzung unterschiedlicher Areale in Grünflächen“ präsentiert werden.

Doch das von Ihnen gebaute und bespielte „Wälderhaus“ ist ein Projekt der IBA-Hamburg und der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald. Es steht in direkter Nähe zum Haupteingang der igs in Wilhelmsburg und es beherbergt ein 3-Sterne-Hotel.

Wir fragen uns also, wie sich Wald zu Deutsch, Nachhaltig zu IBA und igs und mithin die Keimzelle zu Ihnen und Ihrer Anfrage verhalten?

Die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald hat sich 1947 gegründet, um den „deutschen“ Wald gegen die Alliierten zu schützen. Frühere Präsidenten des Verbands waren ehemalige Mitglieder der NSDAP oder DNVP, bevor sie nach dem Krieg der CDU beitraten. Das Deutsch im Namen des Verbands verweist nicht auf den ökologischen Umstand, dass auch in diesem Land der Wald zu schützen sei, sondern dass es um Gehölze auf national identifizierten Territorien geht. Entsprechend konsequent sind die Hotelzimmer im 3-Sterne Hotel im Wälderhaus nach einheimischen Bäumen benannt, so haben wir gelesen. Wir fragen uns an dieser Stelle also nicht nur, ob Wilhelmsburg tatsächlich ein 3-Sterne-Hotel der gehobenen Klasse braucht, sondern auch, was das für eine Geste ist, die aufs „Einheimische“ in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg setzt, wo die Bevölkerung zu einem großen Teil migrantische Hintergründe hat.

Sowohl die IBA-Hamburg wie auch die igs haben mit großen Mengen am Baumfällungen in Wilhelmsburg sogar die bürgerliche Presse irritiert und weder zur nachhaltigen Stadtentwicklung beigetragen, noch an einem zeitgemäß ökologischen Gartenkonzept gearbeitet, geschweige denn ihre Projekte wirklich in Kooperation mit der lokalen Expertise der Anwohner_innen entwickelt, was nachhaltige Stadtentwicklung gewesen wäre.

Es ist also dieser Kontext, nicht das Thema Ihrer Ausstellung, der uns dazu veranlasst, Ihre Anfrage abzulehnen. Die Keimzelle, die als Planungsgarten für anwohnerorientierte Stadtentwicklung von unten in St. Pauli kämpft und sich als Bühne für soziale und ökologische Vielfalt begreift, ist nur ein kleines Gartenprojekt – aber es möchte ungerne im Greenwashing-Zirkus in Wilhelmsburg auftreten.

Wir kommentieren mit dieser offenen Antwort an Sie nicht die Qualität der Architektur des Wälderhauses oder die Nachhaltigkeit des Gebäudes. Wir wissen, dass Sie in Ihrem Architekturbüro mit Historikern kooperieren und sensibel auf gesellschaftlich relevante Themen reagieren können und gehen daher davon aus, dass Sie unsere Bedenken verstehen.

Mit freundlichen Grüßen, Keimzelle goes GrünAreal

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1 Antwort zu Ein offener Brief

  1. Pingback: Keimzelle boykottiert igs im Wälderhaus | AKU - Arbeitskreis Umstrukturierung Wilhelmsburg

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